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Flüchtlingsbetreuung in Seekirchen

Alois Federsel
Alois Federsel Gesellschaft

Rückblick und Gegenwart

Wie zahlreiche andere Gemeinden war Seekirchen im Jahr 2015 damit konfrontiert, Flüchtlinge aufzunehmen. Es ist Zeit für einen Rückblick und ein kurzes Resümee.
Nach einer zögerlich-abwartenden Phase wurden die ersten Flüchtlinge in einem Haus in Schöngumprechting und weitere dann in zwei neu errichteten Holzhäusern in der Wallerseestraße untergebracht. Im Durchschnitt lebten 110 Flüchtlinge im Seekirchen.

Überwältigend war die Solidarität und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Unter der tatkräftigen Leitung von Doris Kessler etablierte sich die Initiative „Seekirchen.hilft“, in der bis zu 200 freiwillige HelferInnen organisiert waren. Sie unterstützten beim Deutschlernen, begleiteten zu Behörden und Ärzten und organisierten gemeinsame Freizeitaktivitäten. Ziel der Initiative war es aber auch, Vorurteile abzubauen und das Miteinander zu fördern, wozu die Miteinander-Feste in der Sonneninsel und die Veranstaltung „SyrischesWohnzimmer“ in der Kunstbox beitrugen.

Erfahrungen der Helfer

Die Bilder vom Bürgerkrieg in Syrien und das Schicksal der Menschen, die aus dieser „Hölle“ geflohen waren, berührten. „Ich konnte einfach nicht zu Hause sitzen, wo ich alles hatte, und zusehen, wie andere in Not sind“, brachte es eine Seekirchnerin auf den Punkt. Die meisten Helfer, mit denen ich gesprochen habe, berichten überwiegend von positiven Erfahrungen bei der Betreuung von Flüchtlingen. An erster Stelle wird das Gemeinschaftsgefühl unter den Helfern genannt. Die spontane Hilfsbereitschaft und die Teamarbeit von Menschen, die einander bisher nicht kannten, schufen eine gute Stimmung und motivierten. „Ich habe Seekirchen in dieser Phase völlig neu und positiv kennengelernt“, erzählte ein Helfer, „weil ich viele Leute kennengelernt habe, die zusammenhalten, gemeinschaftlich helfen und sich gegenseitig wertschätzen. Seit dieser Zeit lebe ich lieber in Seekirchen.“

Die Betreuung der Flüchtlinge wurde als herausfordernd empfunden, aber auch als lohnend. Traumatisierten Menschen Zuwendung zu geben, unse- re Sprache zu unterrichten, sie im Asylverfahren zu begleiten, Begegnun- gen mit Menschen im Ort zu ermöglichen waren Erfolge auf menschlicher Ebene. Die Dankbarkeit drückte sich oft in kleinen Gesten aus wie der Einladung zu einer Teestunde im Flüchtlingsheim oder einem Essen nach syrischer Kochkunst.

Wie unterschiedlich die Charaktere und Vorlieben geflüchteter Menschen sind, zeigt sich gut am Beispiel Musik - der Universalsprache ohne Worte. Während eine Gitarrenlehrerin berichtet, dass die jungen Leute vorwie- gend amerikanische Pop-Songs spielen wollten, beobachtete eine weitere Lehrerin, dass sie nur arabische Musik hören wollen.

Nicht zu verschweigen sind auch enttäuschende Erfahrungen. Genannt werden mangelnde Verlässlichkeit und zu wenig (klar ausgesprochene) Dankbarkeit. Auch die Integrationsbereitschaft wird manchmal in Zweifel gezogen und der Rückzug in die eigene Community beklagt. Es ist zwar verständlich, dass Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, Kontakt mit ihresgleichen suchen. Die Chance auf eine gelungene Integration er- fordert freilich, dass gleichzeitig auch Kontakte mit der heimischen Be- völkerung gelebt werden.

Bild: Wilfried Zapfel. Edith Zapfel mit Kindern der Asylwerber
Bild: Wilfried Zapfel. Edith Zapfel mit Kindern der Asylwerber

Gespräche mit Flüchtlingen

Wie haben die schutzsuchenden Menschen ihre Situation in Seekirchen erlebt? Gespräche mit Flüchtlingen ergeben eine differenzierte Sicht. Das wohl schönste Bild und Kompliment kam von einem Mann aus Syrien: „Seekirchen war wie eine Geburt für mich“.

Am Anfang überwiegt die Erleichterung in Sicherheit zu sein. Sehr bald wird einem allerdings bewusst, dass alles fremd ist, man kennt niemanden und die Sprache versteht man auch nicht.
Was tut ein Flüchtling während des Asylverfahrens? Hauptsächlich besteht der Tag aus Warten und Langeweile. Warten darauf, einen neuen Platz in der Welt zu bekommen. In dieser Situation wurde die Unterstützung durch Seekirchen.hilft so wertvoll empfunden, weil sie über die staatlichen Maß- nahmen mit den damit verbundenen bürokratischen Hürden hinausgeht und schnell geleistet wird. Aktivitäten, die Freiwillige anbieten, sind eine willkommene Abwechslung! Das kann ein Fußballspiel sein, der Besuch einer Veranstaltung, ein Spaziergang durch Seekirchen oder kreatives Gestalten.

Wie wichtig Eigeninitiative ist, erzählt der junge Syrer: „Ich habe meine Augen aufgemacht, Die Leute haben anfangs Abstand gehalten. Ich habe Kontakt gesucht, war mit Jugendlichen unterwegs und habe im Verein U18 Fußball gespielt.“ Und fast philosophisch fügt er hinzu: „Wenn ich Ziele habe, warte ich nicht ab, sondern tue etwas dafür. Das Leben ist kein Warteraum.“

Nadim ist ein Beispiel einer gelungenen Integration. Er kam mit 15 Jahren nach Österreich, machte hier seinen Pflichtschulabschluss. Durch die Vermittlung eines freiwilligen Betreuers schaffte er es, noch vor der GewährungvonAsyl einenLehrplatzineinerElektronikfirmazubekommen. Ein weiterer junger Mann betrieb in Syrien gemeinsam mit seiner Familie einen Handel für Autozubehör, später eine Blumenhandlung, bevor er nach Österreich floh. Jetzt arbeitet er in einer IT-Firma in Salzburg. Auf die Frage nach seiner (verlorenen) Heimat meinte er: „Heimat bedeutet für mich nicht nur ein Ort, wo man geboren ist, sondern das Land, wo Freunde und Bekannte um mich herum sind und wo ich Sicherheit und Arbeit habe. Auch wenn unsere Länder verschieden sind, die Menschen haben ähnliche Anliegen, Interessen und Sorgen“. Es ist ihm zu wünschen, dass er diese positive Einstellung in seiner neuen Heimat behalten kann. Die obigen Beispiele zeichnen sich durch Eigeninitiative und Leistungs- bereitschaft aus. Manche Flüchtlinge kommen aus einer Kultur, die mit unserer leistungsorientierten Gesellschaft nicht vergleichbar ist. Ihre Er- wartungen und unsere Anforderungen decken sich nicht, was auf beiden Seiten zu Enttäuschung führen kann.

Die aktuelle Situation

Ausgangspunkt meiner Recherche war die Frage, ob bzw. wie viele Flücht- linge derzeit in Seekirchen leben. Ab und zu begegnet man einem Flüchtling als Schülerlotse oder beim Bummelzug, ansonsten sind sie im Orts- bild wenig sichtbar. Tatsächlich beherbergt Seekirchen in den eingangs erwähnten Unterkünften auch heute rund 120 Flüchtlinge, d.s. ca. 1,5 % der Bevölkerung. Die häufigsten Herkunftsländer sind Syrien, Afghanistan, Iran, Irak und Subsahara.

Die offizielle Betreuung liegt für das Haus in Schöngumprechtung beim Samariterbund, das Mobile Heim in der Wallerseestraße wird vom Roten Kreuz geführt. Zusätzliche Unterstützung und Betreuung kommen wei- terhin von Seekirchen.hilft. Die HelferInnen der ersten Stunde hatten sich nach anstrengenden 3 – 4 Jahren verdient zurückgezogen. Das Team umfasst aktuell ca. 20 HelferInnen, die den Flüchtlingen wie bisher Unter- stützung und Begleitung anbieten.

Eine zentrale Funktion kommt der sogenannten „Boutique“ zu. Aus der "Sachspenden-Boutique" von Seekirchen.hilft können die Kinder, die Eltern und auch viele andere Asylwerber mit Kleidung, Schuhen und auch Spielzeug versorgt werden. Sobald sie ein Bleiberecht erhalten und in eigene Wohnungen ziehen, kann ihnen auch mit Geschirr, Besteck, klei- nen Haushaltsgeräten, Bettwäsche geholfen werden - als Starthilfe für das eigenständige Leben in Österreich.
Die “Boutique” ist zur Drehscheibe geworden für die Kontakte zu den Schutzsuchenden, zu den Trägerorganisationen, zur einheimischen Bevölkerung und damit auch zu neuen Herausforderungen wie Begleitung zu Ärzten, ins Krankenhaus, Begleitung bei Schulbeginn, Elternabenden, Kontakte mit Kindergarten, Krabbelstube u.v.a.m.

Abschließende Gedanken

Wir haben Mitgefühl mit den Menschen, die aus Angst und Ver- zweiflung aus ihrer Heimat fliehen und dort bis auf ihre Identität alles zurücklassen.
Sobald sie jedoch als Flüchtlinge unser Land betreten, regen sich Bedenken und Ängste in uns. Auch wenn wir sie aufnehmen, blei- ben Vorbehalte. Wir erwarten vom Flüchtling im Gegenzug zu un- serer Hilfe jedenfalls, dass er sich an unsere Gepflogenheiten an- passt und das „Fremde“ ablegt. Dieses Spannungsfeld zwischen der kulturell geprägten, persönlichen Identität jedes einzelnen Flüchtlings und der Integration in eine neue Heimat ist ein Haupt- grund, warum Integration eine zutiefst menschliche Herausforde- rung darstellt. Auch eine offene Gesellschaft, auf die wir zu Recht stolz sind, stößt dabei immer wieder an ihre Grenzen.

Hat nicht die permanente Erwartung von Dankbarkeit in einer wohlhabenden Gesellschaft gegenüber jenen, die nichts haben und deshalb auf Hilfe angewiesen sind, auch etwas Demütigendes an sich?

Das Thema der Migration wird uns ebenso wie das Problem des Klimawandels noch lange beschäftigen. Wir werden daher immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert sein.

Allen SeekirchnerInnen, die Flüchtlingen in der einen oder anderen Form geholfen haben und noch immer helfen, gebührt eine großes „Danke schön“!

Aktuelle Literatur:
Dina Nayeri: Der undankbare Flüchtling
Jad Turjman: Wenn der Jasmin auswandert

Für Sachspenden und Sonstiges ist Edith Zapfel erreichbar unter 0664/4333293