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Grafik: Die Aufteilung des öffentlichen Raumes, wie es derzeit häufig der Fall ist [Quelle: © Karl Jilg / Swedish Road Administration]

Ein lebendiges und attraktives Stadtzentrum für Seekirchen?

Viel Grün, die Nähe zum See, öffentliche Infrastruktur, stationärer Handel sowie Gastronomie, Kultureinrichtungen und Vereinsleben. Die Lebensqualität in Seekirchen ist hoch. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite bietet das Stadtzentrum immer wieder Anlass zu Diskussionen. Zu viel Kfz-Verkehr, zu wenig Platz, um in Ruhe zu verweilen, zu viele unterschiedliche Interessen hinsichtlich Veränderungen.

Es stellt sich die provokante Frage: Benötigt Seekirchen überhaupt ein lebendiges Stadtzentrum mit einem attraktiven öffentlichen Raum, wenn sowieso der eigene Garten und der sommerliche See Rückzug, Erholung und auch Austausch mit Freunden und Familie bieten?

Lebendige Orte sind keine Schlafstätten und Durchgangsräume, sondern Orte sozialer Begegnung und kultureller Innovation. Dafür wird (auch) öffentlicher Raum benötigt. Öffentlicher Raum ist eine Voraussetzung öffentlichen, insbesondere städtischen Lebens. Die Funktion als Freizeit- und Konsumraum auf der einen und Verkehrsraum auf der anderen Seite stellt viele Ortszentren vor große Herausforderungen. Attraktive

Altstädte mit hoher Aufenthaltsqualität fehlen, die Kaufkraft fließt „auf die grüne Wiese“ ab, wo große Fachmarktzentren errichtet wurden. Die Folge für viele Ortszentren: Leerstände und Orte ohne Leben, ohne lebendigen und attraktiven öffentlichen Raum.

Über die Frage, was getan werden kann, zerbrechen sich viele Gemeinden den Kopf. Die eine Lösung oder das Patentrezept gibt es nicht. Seekirchen hat zum Glück noch funktionierende Strukturen wie stationären Einzelhandel, Gastronomie, Beherbergung und Kultur. Und die gilt es zu unterstützen und zu stärken und sie auch für die vielen Neubürger*innen „schmackhaft“ zu machen.

Zwei Grundvoraussetzungen zur Stärkung des Zentrums sind die Verbesserung der Erreichbarkeit mit allen Verkehrsmitteln (v.a. nicht nur PKW!) und die Gestaltung des Zentrums in seiner Aufenthaltsqualität.

Die Gestaltung des öffentlichen Raumes ist nicht nur die Summe stadtplanerischer Einzelfragen. Angesichts einer zunehmenden virtuellen und sozialen Entmischung der Gesellschaft ist es besonders wichtig, Räume zu schaffen, in denen spontane soziale Begegnung möglich ist. In einer lebendigen Stadt treffen Arme und Reiche, Menschen unterschiedlicher Herkunft, Alte und Junge unmittelbar aufeinander. Dadurch dass einem andere im Stadtraum begegnen, ist ein erster notwendiger Schritt zu ihrer Anerkennung und damit zu gesellschaftlicher Solidarität getan.

Voraussetzung dafür sind Stadträume, in denen Bürger*innen das Notwendige schnell und einfach erledigen können und die zugleich Platz schaffen für Begegnung, Verweilen und Gespräch. Große Teile unserer Orte und Städte tun das nicht: weil es zu wenig Sitzgelegenheiten gibt, die Barrierefreiheit eingeschränkt ist, der Kfz-Verkehr dominiert, Menschen sich unsicher fühlen oder einfach, weil sie sich nicht an ästhetisch unschönen Orten aufhalten wollen. Dieser öffentliche Raum bleibt verwaist.

Was bedeutet dies konkret für Seekirchen?

Erreichbarkeit

Mit dem PKW ist das Zentrum gut erreichbar. Jedoch müssten die Parkplätze im Zentrum klarer strukturiert und gebündelt werden. Ein besser erkennbares Parkleitsystem ab der Obertrumer Landesstraße hilft den PKW-Verkehr dahin zu lenken, wo er gewollt ist, und bietet den Kund*innen der Geschäfte und der Gastronomie eine Unterstützung, wo es zentrale Parkplätze gibt.

Das Zentrum muss weiterhin und verstärkt mit Öffentlichem Verkehr erreichbar sein, wobei zukünftige Niederflurbusse mit E-Antrieb helfen werden, die Auswirkungen des Busverkehrs zu reduzieren. Ergänzend zu den Bussen im Linienverkehr sind flexibel per App oder Telefon bestellbare Verkehrsdienste („Regio-Shuttle“) das Mittel der Wahl.

Wichtig und absolut unabdingbar ist auch die bequeme und subjektiv als sicher empfundene Erreichbarkeit des Zentrums zu Fuß und mit dem Rad.

Aufenthaltsqualität

Schlüssel zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität ist die Reduktion des nicht notwendigen Kfz-Durchzugsverkehrs durch die Hauptstraße. Um dies zu erreichen, muss die Begegnungszone zu einer „echten“ Begegnungszone umgewandelt werden, sodass sie nicht mehr wie eine normale Straße wirkt. Denn die jetzige Fahrbahn verleitet zum Durch- und zu-schnell-Fahren.

Ein Mittel der Wahl: eine einheitliche Querpflasterung – wie am Stadtplatz – von der Zaunerkreuzung bis zum Unterbäck.

Der Effekt: Der zusammenhängende öffentliche Raum wird unterstrichen, allen Verkehrsteilnehmer*innen wird dieselbe Priorität eingeräumt und der Kfz-Verkehr wird automatisch auf ein gewünschtes Verhalten gelenkt: Es ist einfacher und schneller, mit dem Kfz im Norden über Seekirchen Nord und im Süden über Seekirchen Süd auf die Obertrumer Landesstraße aufzufahren als im Schritttempo über die Hauptstraße durchzufahren. In Summe reduziert dies den Kfz- Durchzugsverkehr und verbessert die Qualität im Zentrum. Denn wo alle nur im Transit sind, will und kann sich niemand aufhalten.

Die durchgezogene Pflasterung vom Stadtplatz bis zum Hofwirt und zur Fußgängerbrücke über den Markterbach bis zum Unterbäck könnte eine Renaissance des Ober- und Untermarktes als zweier zentraler Plätze in Seekirchen bedeuten. Beide werden durch die Hauptstraße verbunden.

Das Zentrum von Seekirchen besteht nicht nur aus der Hauptstraße rund um den Hofwirt. Wichtig ist auch, weitere funktional zusammenhängende Bereiche mitzudenken und neu zu gestalten: in der Hauptstraße im Norden bis zum Hirschenwirt und im Süden bis zum Brückenstüberl, in der Bahnhofstraße bis zum Bahnhof, in der Windhager-Straße bis zum Emailwerk, in der Postgasse bis zum Parkplatz beim Doll, in der Moosstraße bis zum Friedhof und dem dortigen Parkplatz sowie in der Mathias-Bayrhammer-Straße zum neuen Stadtquartier bei der BH. Zumindest diese Teile sind integraler Bestandteil des Zentrums und müssen in ihrer fußläufigen Erreichbarkeit verbessert werden.

Beispielhaft für eine unbefriedigende und neu zu lösende Situation ist der Bereich beim SPAR und der Bäckerei Leimüller.

Fahr- und zwei Abbiegestreifen samt Busbuchten benötigen derart viel Platz, dass für Gehsteig und Gastgarten der Bäckerei Leimüller fast keine Fläche mehr übrigbleibt. Parkende Autos müssen sich zwischen die Bäume zwängen.

Verkehrstechnisch sind die Abbiegestreifen zum SPAR-Parkplatz nicht notwendig und die Busbuchten können problemlos zu Fahrbahnhaltestellen umgewandelt werden. Damit wird genug Fläche für einen Gehsteig und einen Gastgarten frei. Die (Kunden-) Parkplätze werden durch das Herausrücken des Parkstreifens aus der Baumreihe erhalten. Durch die geringere Fahrbahnbreite ist auch ein Queren der Straße leichter möglich. Insgesamt wird dadurch in der Südeinfahrt von Seekirchen der Beginn des Stadtzentrums signalisiert.

 

Diese Beispiele zeigen: Lösungen sind möglich. Es bedarf oft nicht einmal einschneidender Veränderungen. Die positiven Wirkungen wären groß. Öffentlicher Raum, in seiner möglichen Vielfalt nutzbar, ist Voraussetzung für Gemeinsinn und ein Ausgleich zum Trend zum Rückzug ins Private.

Friedrich Schiller stellte richtig fest: „Schönheit fördert das Wachstum von Humanität“.

Seekirchens Zentrum hat sich „Schönheit“ verdient!
Auch wenn diese bekanntlich im Auge des Betrachters liegt...